Was ich aus dem Buch „Der Archipel Gulag“ gelernt habe

Die letzten Wochen habe ich mich durch das Buch „Der Archipel Gulag“ von Alexander Solschenizyn durchgearbeitet. Nachdem ich mit diesem fertig bin, kann ich nur sagen, ich verstehe jetzt die Sorgen der baltischen Länder, von Polen und den Kampf der Ukrainer um einiges besser, als noch vor ein paar Monaten.

Ich verstehe in der Zwischenzeit auch, warum es immer noch Menschen hierzulande gibt, die Russland nicht verurteilen. Allerdings habe ich dafür auch kein Verständnis mehr. Denn einer der ersten Erkenntnisse aus dem Buch war für mich, was der größte ideologische Exportschlager der Sowjetunion gewesen war, nämlich der Gedanke “Wir sind die Guten!”

Unter den aktuellen politischen Geschehnissen las sich das Buch für mich wie eine Wiederholung der Geschichte. Muster, während des Aufbaus des Gulag-Systems, tauchen auch heute erneut auf.

  • Da wäre zum einen der Begriff “Faschist”, der damals bereits für alle verwendetet wurde, die nicht für die Sowjetmacht waren.
  • Der Feind war auch damals schon, und wir sprechen hier bereits von den 20ern, der Westen. Alles, was von dort kam, hatte die Absicht, die Sowjetmacht zu stürzen. 
  • Die offensichtlichen Lügen, die wir derzeit aus Russland erleben, sind auch keine Erfindung des aktuellen Regimes. Alles schonmal dagewesen. 
  • Umgekehrt wurde alles als Lügenpropaganda der Feinde der Sowjetunion bezeichnet, was gerade nicht ins Bild passte. (das kennt man leider auch von anderen Staaten).
  • Regimegegner wegzusperren, wurde auch damals konsequent eingesetzt. Die Strafen gab es dabei im 5-Jahrestakt, von 5 bis 25 Jahren.  
  • Weggesperrt wurden auch alle, von denen man vermutete, dass sie mal gegen das System sein könnten, inkl. ein Großteil der intellektuellen Bevölkerung der damals neu eroberten Gebiete, wie die baltischen Staaten, Teile von Polen und auch der Ukraine. Deportationen erleben wir auch heute wieder.
  • Dazu gesellten sich noch jede Menge anderer Menschen, die man einfach wegsperrte, weil man Quoten erfüllen musste (ja es gab Quoten, wie viele Kollaborateure man monatlich zu verhaften hatte)
  • Gräueltaten wurden auch damals bereits billigend in Kauf genommen. Bei der Eroberung von neuen Gebieten waren Hinrichtungen und Plünderungen an der Tagesordnung und wurden geduldet. Auch dies geschieht heute wieder.

Zusammenfassend kann ich nur feststellen, das damalige System hatte keine klaren Regeln, außer vielleicht: “Wenn du nicht für uns bist, bist du gegen uns!” Und Gegner fand man viele.

Eins war das System auf jeden Fall, es war zutiefst menschenverachtend. Dies deckt sich mit den aktuellen Geschehnissen. Die erzählten Geschichten sind zutiefst verstörend, wie zum Beispiel die Geschichte von dem jungen Mädchen, welches für 10 Jahre in die Lager gesperrt wurde. Der Grund?: Sie sammelte Weizenkörner von der Straße auf, welches von Lastern gefallen war, da sie Hunger hatte.

Wenn ich in der Geschichte von Russland zurückblicke, denke ich, in dieser gab es nur ein kurzes Zeitfenster, in denen die Menschen einigermaßen frei ihre Meinung äußern konnten. Diese Zeit würde ich von 1987 bis 2012 benennen. 

Sowohl davor als auch danach gab es keine echte Meinungsfreiheit. Das Leben mit der Lüge und der Propaganda ist deswegen, meiner Meinung nach, so tief verankert, dass es in der Zwischenzeit ein Bestandteil der russischen Seele geworden ist.

Letztendlich kann ich für mich nur sagen, die Menschen in Russland tun mir nicht weniger Leid als die Ukrainer. Die Russen erleben gerade erneut, was Willkür und Angst bedeutet. Die Ukrainer erleben gerade ein Déjà-vu. Erneut versucht Russland, sie gewaltsam in den eigenen Machtbereich zu integrieren. 

Mich würde es auch nicht wundern, wenn wir in naher Zukunft erneut von Lagern hören, in denen massenhaft Menschen interniert oder sogar zur Zwangsarbeit gezwungen werden. Ich hoffe dabei nur, dass ich mich bei dieser Prognose irre.

Hintergrund: Im Buch „Der Archipel Gulag“ schreibt Alexander Solschenizyn über seine Erfahrungen im sowjetischen Gulag und den Geschichten, die er von anderen Insassen im Laufe erhielt. Er befand sich 8 Jahre in verschiedenen Lagern und wurde anschließend für weitere 4 Jahre in der Verbannung geschickt.

Das Buch erschien in einer überarbeitenden und gekürzten Neuauflage, umfasst aber immer noch rund 600 Seiten.

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