Mehr als Überwachung und Sozialpunktesystem: Meine China-Erfahrungen aus erster Hand

Wir sind vor einer Woche aus China zurückgekehrt und ich kann im Nachhinein nur sagen, diese Reise hat mich auf vielen Ebenen überrascht und zum Nachdenken gebracht. Zwei Dinge fielen mir dabei besonders ins Auge: Chinas unglaublicher digitaler Vorsprung und die starke Diskrepanz zwischen dem, wie wir hier über China denken, und dem, was dort tatsächlich vor sich geht. Vor allem beeindruckte mich, wie schnell und konsequent das Land Fortschritte macht – in einer Geschwindigkeit, die für uns im Westen kaum vorstellbar ist.

Wie viele andere war auch ich vor der Reise skeptisch. Die Berichterstattung in unseren Medien vermittelt oft den Eindruck von einem Land voller Überwachung und eingeschränkter Freiheit. Aber was wir vor Ort erlebt haben, stellt diese Eindrücke in ein anderes Licht. Vieles, was hierzulande über China berichtet wird, wirkt in der Realität weit weniger dramatisch, als es von außen erscheint.  

Ein beeindruckendes Beispiel ist der Wohlstand, der in den letzten Jahrzehnten geschaffen wurde. China hat es geschafft, über 800 Millionen Menschen aus der Armut zu holen. Die Chinesen konsumieren mehr, reisen mehr und können sich Dinge leisten, die früher unvorstellbar waren. Das Wirtschaftswachstum hat einen Konsum und eine Lebensqualität ermöglicht, die weit über das hinausgeht, was man früher für möglich gehalten hätte.

Individualität und Straßenverkehr

Individualität ist ein weiteres großes Thema. Da ist absolut nichts von dieser „Gleichmacherei“ oder Uniformität, wie sie hier manchmal dargestellt wird. Die Menschen drücken sich frei aus – von Cosplay-Kostümen bis zu Streetstyle-Outfits sieht man alles, was man hierzulande auch in der alternativen Szene findet. Diese künstlerische und modische Freiheit hat mich offen gesagt überrascht. Es gab keinerlei Anzeichen einer gezwungenen Einheitlichkeit. Die Chinesen leben ihre Individualität auf eine Weise, die bei uns für manche komischen Blicke sorgen würden.

Auch die Vorstellung vom sogenannten Social Scoring hat sich als nicht mehr als ein Gerücht erwiesen. Trotz der medialen Darstellung, dass ein solches Punktesystem das Leben der Chinesen durchdringt, konnte keiner meiner Gesprächspartner etwas dazu berichten, und auch im Alltag war davon nichts zu bemerken. Stattdessen habe ich eine sehr lockere Straßenatmosphäre erlebt, die eher an europäische Städte wie Rom oder Paris erinnert. Die Verkehrsregeln scheinen flexibler interpretiert zu werden, und von einer „durchorganisierten Überwachungsgesellschaft“ war vor Ort wenig zu spüren.

Was mich auch besonders beeindruckt hat, ist der E-Mobilitätsgrad. Ein großer Teil des Straßenverkehrs läuft bereits elektrisch ab – E-Bikes, Elektroautos und Elektroroller sind an der Tagesordnung. Die Ruhe auf den Straßen war unglaublich, weil die meisten Fahrzeuge geräuscharm unterwegs sind. Dieses Maß an Elektrifizierung im Alltag ist etwas, das wir uns hier in Deutschland nur wünschen können. Interessanterweise erzeugt auch das ein sehr angenehmes Stadtklima, weil die sonst allgegenwärtige Geräuschkulisse von Motoren kaum vorhanden ist. Der Lärmpegel steigt höchstens durch das Hupen, das in China gängig ist. 

Sicherheit und deren positive Folgen

Wo es allerdings klare Sicherheitsvorkehrungen gibt, ist bei Taschenkontrollen an öffentlichen Verkehrsmitteln. An jeder U-Bahn-Station und jedem Bahnhof wurde das Gepäck kontrolliert. Für uns ist das ungewohnt und wirkt im ersten Moment vielleicht übertrieben. Doch nach einer Weile habe ich verstanden, dass diese Maßnahmen dem Sicherheitsgefühl dienen und auf breitere Akzeptanz stoßen, als man vielleicht denkt. Die Chinesen scheinen mit diesen Kontrollen gut zu leben und schätzen sie teilweise sogar, weil sie sich dadurch sicherer fühlen.  

Ein weiteres Thema, das in China viel offener angegangen wird als bei uns, ist die öffentliche Überwachung. Überwachungskameras sind in Großstädten wie Guangzhou flächendeckend installiert und helfen nachweislich dabei, die Kriminalität zu senken. Besonders beeindruckend war die Schilderung einiger Einheimischer, die mir erzählten, dass die Kriminalitätsrate in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist. Frauen können abends allein nach Hause gehen, ohne sich unsicher zu fühlen. Die Kameras tragen hier maßgeblich zum Sicherheitsgefühl bei, und ich frage mich, ob diese Maßnahme nicht auch bei uns dazu beitragen könnte, das Sicherheitsgefühl zu stärken – gerade in den Vierteln, wo die Kriminalität ansteigt.

AliPay und digitales Bargeld

Was mich am meisten überrascht hat, ist der gewaltige Vorsprung in der Digitalisierung. Bargeld gibt es praktisch gar nicht mehr; jeder Chinese bezahlt ausschließlich per App. Alipay und WeChat Pay sind die gängigen Lösungen, die für alles verwendet werden – ob im Restaurant, beim Straßenhändler oder beim Einkaufen. Als Tourist, der diese Apps nicht nutzen kann, merkt man erst, wie schwierig es ist, ohne sie zurechtzukommen. Tatsächlich waren es nur einige westliche Besucher, die hin und wieder mit Bargeld bezahlten, aber die Chinesen? Kein Bargeld, keine Münzen – alles läuft digital.

Alipay ist dabei nicht nur eine Bezahl-App, sondern eine Art Alleskönner. Man kann damit Bestellungen aufgeben, Buchungen vornehmen, direkt bezahlen und noch vieles mehr. Die Flexibilität und der Komfort, den solche Apps bieten, sind enorm und lassen uns westliche Apps fast veraltet wirken. Die Chinesen haben es geschafft, alle möglichen Dienste in einer Plattform zu vereinen und den Alltag so enorm zu vereinfachen. Das ist ein Punkt, der uns in Deutschland noch weit bevorsteht – und der in China längst selbstverständlich ist.

Die Hürden als Tourist

Dennoch steht diese umfassende Digitalisierung für westliche Touristen vor einer großen Hürde: Viele unserer gewohnten Dienste – allen voran Google Maps oder WhatsApp – sind in China nicht ohne Weiteres verfügbar. Das bedeutet, dass wir entweder einen VPN nutzen müssten (was offiziell verboten ist) oder einen Anbieter, der indirekt auch über VPN läuft. Man befindet sich als westlicher Tourist in einer Zwickmühle: Ohne VPN kommt man nicht weit, aber die Nutzung ist nicht erlaubt. Hinzu kommt, dass die gewohnten Google-Dienste nicht funktionieren, selbst wenn man sie aufrufen könnte. Um durch eine chinesische Stadt zu navigieren, ist man oft gezwungen, zwischen verschiedenen Apps hin und her zu wechseln. Das hat mich ein wenig an meine ersten Reisen nach Asien erinnert, wo ich ebenfalls häufig improvisieren musste.

Hier zeigt sich ein Punkt, der eine Chinareise für uns Europäer schwierig machen kann: Ohne einen Kontakt vor Ort, der einem mit der Nutzung der lokalen digitalen Infrastruktur hilft, fühlt man sich schnell verloren. Diese Apps und die digitale Landschaft Chinas sind so komplex und umfassend, dass es für uns fremd ist. Selbst ich, der sich viel mit digitalen Lösungen auseinandersetzt, fühlte mich gelegentlich überfordert. Mit jemandem an der Seite, der die Apps kennt und erklärt, wird das Leben dort deutlich einfacher. Allein das Verständnis für die Vielfalt der Funktionen braucht eine gewisse Einführung. Meine Empfehlung ist daher ganz klar: Wer nach China reisen möchte, sollte jemanden dabeihaben, der die lokalen Systeme kennt oder zumindest die Grundlagen erklärt. Andernfalls kann die digitale Barriere sehr belastend sein. 

Der geheime Plan von Xi Jinping?

Eine interessante Frage, die sich mir nach dieser Reise stellt, ist, warum Xi Jinping die Einreise nach China für viele Menschen aus dem Westen vereinfacht hat. Natürlich sind mehr Touristen gut für die Wirtschaft, aber ich glaube, dahinter steckt mehr. Die Öffnung des Landes könnte strategischer Natur sein. Indem mehr Menschen nach China kommen, könnten sie mit eigenen Augen sehen, wie das Land wirklich funktioniert. So wird die Diskrepanz zwischen dem medialen Bild und der Realität vor Ort für westliche Touristen schnell sichtbar. Und das könnte Chinas Image auf internationaler Ebene verbessern. Diese Strategie ist so simpel wie wirkungsvoll: Zeig den Menschen, was sie bisher nur durch den Filter der westlichen Medien gesehen haben, und lass sie selbst erleben, wie das Leben in China tatsächlich aussieht.

Am Ende dieser Reise bleibt für mich die Erkenntnis, dass China vieles schon jetzt lebt, was bei uns erst in Planung ist. Digitalisierung, E-Mobilität, Sicherheit und Konsum – die Fortschritte und der Lebensstandard sind beeindruckend. Klar, es gibt auch Herausforderungen und Dinge, die für westliche Besucher nicht einfach sind, aber das Gesamtbild ist ein völlig anderes, als ich es mir vorgestellt hatte. Die Reise hat mir definitiv Lust auf mehr gemacht, und ich bin gespannt, was dieses Land noch bereithält. Für mich steht fest: Das wird nicht der letzte Besuch gewesen sein.


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