Ich bin gerade von meiner letzten Mehrtagestour auf dem Stubaier Höhenweg und lasse die Eindrücke der Tour Revue passieren.
Während ich durch die Alpenlandschaften wanderte, fühlte ich mich oft an einen Vortrag erinnert, den ich im vergangenen Jahr gehalten habe. Das Thema? „10 Dinge, die ich durch die Berge gelernt habe“.
Jeder dieser 10 Punkte hat sich auf meiner jüngsten Tour bestätigt. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie die Berge als eine Art Lebensschule fungieren, in der wir nicht nur unsere körperlichen, sondern auch mentalen und emotionalen Grenzen austesten können.

Interessant fand ich dabei eins: Zum Start der Tour waren viele Menschen dabei, welche den kompletten Stubaier Höhenweg gehen wollten. Am Ende blieben aber nur wenige übrig.
Tatsächlich schätzte ich, dass gefühlt 80 Prozent der Teilnehmer ihre Tour spätestens am zweiten Tag abbrachen.

Die Gründe? Vielfältig, aber sie alle führten mich zu den Erkenntnissen, die ich letztes Jahr schon mal in meinem Vortrag erörterte und die ich in diesem Blogbeitrag noch einmal mit dir teilen möchte.
Ich denke, sie sind nicht nur für Bergenthusiasten relevant, sondern bieten lehrreiche Metaphern für verschiedene Lebensbereiche. Los gehts.

1. Desto höher, desto attraktiver
Was ich immer wieder in den Bergen sehe ist, desto höher man kommt, desto attraktiver werden die Menschen.
Der Berg filtert de facto alles aus, was nicht über die nötige Kondition oder den Willen verfügt, den Gipfel zu erreichen. Dies nenne ich die natürliche Selektion der Gipfel.
Auf meiner letzten Tour auf dem Stubaier Höhenweg habe ich dies erneut beobachtet. Während am Start noch viele Menschen jeden Alters und jeder Kondition dabei waren, wurde die Gruppe mit jeder Etappe kleiner.
Interessant dabei ist, dass das Alter keine Rolle spielt. Der älteste Teilnehmer war 82, und er schaffte es bis zu unserem Ziel dieser Tour.
Ich erinnere mich auf den Touren immer wieder an ein Erlebnis, welches ich vor etwa 15 Jahren hatte: Damals zog ein 60-jähriger einfach an mir vorbei.
Ich schwor damals, ich möchte mit 60 fitter sein als mit 35. Dies ist einer meiner täglichen Antriebe, in Bewegung zu bleiben.

2. Die Atmung macht den Unterschied
Im Allgemeinen habe ich auf dieser Tour wenig Wasser benötigt. So benötigte ich lediglich einen halben Liter Flüssigkeit für eine 5-stündige Tour mit 600 Höhenmetern. Der Grund dafür ist die Atmung. Diese entscheidet meistens darüber, ob man die Tour schafft oder scheitert.
Ich erinnere mich dann immer an eine alte Indianerregel. Diese besagt: „Habe immer einen kleinen Stein im Mund, wenn du lange Strecken gehen willst“.
Ich habe zwar keinen Stein im Mund, denke aber immer daran, wenn ich mal etwas zu schnell bin.
Mein Ziel ist immer, egal wie anstrengend es ist, durch die Nase zu atmen. Sobald der Mund aufgeht, drossel ich das Tempo.
Lifehack: Ein großer Vorteil von einem geringen Wasserverbrauch ist im Übrigen, du musst weniger Gepäck mitschleppen. 🙂

3. Einfach mal die Kontrolle abgeben
Die Kontrolle zu haben, ist ein gutes Gefühl, so finde ich. Aber was ich in den Bergen lernen musste, war, die Kontrolle abzugeben, um ans Ziel zu kommen. Denn hier gibt es immer wieder Situationen, in denen zu viel Kontrolle nicht nur unnötig, sondern sogar kontraproduktiv ist.
Als Beispiel fallen mir immer wieder Schotterfelder ein. Läuft man diese hinab, kann man nicht kontrollieren, wohin das Geröll rutscht.
In solchen Momenten ist es wichtig, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Warum? Weil der Versuch, jeden Schritt zu kontrollieren, unnötig viel Energie kostet.
Ich habe da eine einfache Regel: Wenn ich in einem Schotterfeld bergab gehe, lasse ich mich einfach rutschen. Es stoppt schon irgendwann.

4. Der Weg ist das Ziel
Ich habe schon viele Berge bestiegen und oft genug erlebt, dass das Erreichen des Gipfels nicht immer der Höhepunkt der Tour ist. Warum? Weil der Weg dorthin genauso wichtig ist.
Ich bin der festen Überzeugung: Der Berg wird nicht weglaufen. Also, warum hetzen?
Auf vielen meiner Touren dachte ich nach einem anstrengenden Anstieg, jetzt muss der Gipfel doch in Sicht sein. Doch es kam prompt der nächste Anstieg. Und jedes Mal musste ich mich selbst ermahnen, durchzuatmen und das Tempo zu drosseln.
Das hat mir vor allem eines gezeigt: Energie zu sparen und den Moment zu genießen, ist wichtiger als schneller am Ziel zu sein.
Wenn ich in solchen Momenten meine Atmung kontrolliere und mir Zeit nehme, die wundervolle Natur um mich herum zu genießen, dann wird der Weg zum Ziel.

5. Der Langsamste gibt das Tempo vor
Ich sage immer wieder, wandern ist eine der besten Aktivitäten, die man mit Kindern machen kann. Warum? Weil hier nicht die Schnellsten das Sagen haben, sondern die Langsamsten. Und das ist gerade für Kinder großartig.
Das Konzept, dass der Langsamsten das Tempo vorgibt, ist eine wichtige Lektion, die ich auf meinen Bergtouren gelernt habe.
Ich erinnere mich immer wieder an Touren, bei denen ich mit einer Gruppe von unterschiedlichen Leuten unterwegs war. Es war verlockend, einfach loszupreschen und die Anstrengung hinter sich zu bringen.
Aber das wäre nicht nur unfair gewesen, sondern auch gefährlich. Denn wenn die Gruppe auseinandergerissen wird, können schnell Unfälle passieren.
Das Schöne ist somit, man lernt, sich selbst zurückzuhalten und auf die anderen zu achten.
Wer seine Mitwanderer hetzt, der verfehlt das eigentliche Ziel einer Tour. Dieses ist nämlich nicht der Gipfel, sondern dass alle heil wieder unten ankommen.

6. Alleine gehst du schnell, zu 2 gehst du weit.
Dieser Spruch ist mir immer wieder durch den Kopf gegangen, wenn ich in den Bergen unterwegs war. Hier wird die Bedeutung dieses Spruchs besonders deutlich.
Auf vielen meiner Touren bin ich auf schwierige Abschnitte gestoßen. In solchen Momenten ist es Gold wert, jemanden an der Seite zu haben, der schon Erfahrung mit dieser Art von Terrain hat.
Ich erinnere mich an eine spezielle Stelle, an der ich ohne meinen Begleiter wahrscheinlich umgedreht hätte. Seine Erfahrung und dass er einfach vormachte, wie es geht, gaben mir die nötige Sicherheit, um den Abschnitt zu meistern.
Das hat mir erneut bewiesen: Alleine mag man schneller sein, aber gemeinsam kommt man weiter und überwindet Herausforderungen, die man alleine vielleicht nicht bewältigen würde.
Die Erfahrung und Unterstützung eines Begleiters können entscheidend sein, wenn es darum geht, wie weit man kommt.

7. Oben wird die Luft dünner
Je höher man in den Bergen steigt, desto mehr spürt man die dünne Luft und die zunehmende Einsamkeit. Ab einer bestimmten Höhe treffe ich nur noch selten auf andere Menschen. Diese Erfahrung zeigt, dass mit zunehmender Höhe und Herausforderung die Anzahl der Menschen, die dir begegnen, geringer wird.
Das erinnert mich auch an meine Erfahrungen im Geschäftsleben. Je erfolgreicher und größer das Unternehmen, desto einsamer wird es an der Spitze. Es gibt weniger Menschen, die wirklich verstehen, vor welchen Herausforderungen man steht.
Auf meinen Touren fällt mir besonders auf, dass ab etwa 3.000 Höhenmetern die Luft merklich dünner wird. In diesen Höhen muss ich meine Atmung und mein Tempo noch mehr kontrollieren. Das ist vergleichbar mit der zunehmenden Verantwortung in einem wachsenden Unternehmen.
Die dünne Luft in großen Höhen ist also nicht nur eine physische, sondern auch eine metaphorische Herausforderung. Sie lehrt uns, langsamer zu werden, mehr auf uns selbst zu achten und bewusster durchs Leben zu gehen.

8. Ohne Vertrauen, geht’s nicht
Vertrauen spielt in den Bergen eine überraschend große Rolle. Ob es um das Material geht, das mich bei einem Klettersteig sichert, oder um die Hüttenbetreiber, die für meine Versorgung sorgen, ohne Vertrauen wäre jede Tour ein hochriskantes Unterfangen.
Ich gehe gerne Klettersteige und dort ist es unverzichtbar, dem Material zu vertrauen. Wenn die Kräfte nachlassen und ich in meinem Klettergurt hänge, muss ich sicher sein, dass dieser hält. Und wenn ich an einer Wand stehe, muss ich den Sicherungsseilen vertrauen, die dort als Unterstützung angebracht sind.
Aber es geht nicht nur um das Vertrauen in Gegenstände, sondern auch in Menschen. Wenn ich in einer brenzligen Situation bin, muss ich meinen Begleitern vertrauen können. Und ich muss wissen, dass die Betreiber der Hütten, in denen ich übernachte, sich gut um mich kümmern werden.
In den Bergen wird klar: Wer nicht vertrauen kann, wird es schwer haben. Und genauso wichtig ist es, auch vertrauenswürdig zu sein. Nur dann können alle Beteiligten sicher sein, dass sie aufeinander zählen können.

9. Gegen die Natur können wir nicht gewinnen
Eines der eindrücklichsten Dinge, die ich in den Bergen gelernt habe, ist die schiere Macht der Natur. Kein Mensch, egal wie fit oder erfahren, kann gegen die Elemente ankommen. Das muss man einfach akzeptieren. Die Natur lehrt uns Demut und zeigt uns unsere Grenzen auf.
Ich denke da zum Beispiel an angelegte Wege, die plötzlich durch einen Felssturz unpassierbar werden. Oder an Gebirgsbäche, die am Morgen noch ruhig dahin plätschern und am Nachmittag zu reißenden Flüssen werden. Die Natur ist unberechenbar und zeigt uns immer wieder, wie schnell sich Situationen ändern können.
In den Bergen lerne ich, mit der Natur zu leben, anstatt zu versuchen, sie zu besiegen oder zu kontrollieren. Ein paar Tropfen Regen können den Unterschied machen, ob ich den Berg hinunterkomme oder in einer gefährlichen Situation lande. Deshalb ist es wichtig, die Natur zu respektieren und ihre Zeichen richtig zu deuten.
Das gibt mir eine ganz neue Perspektive auf das Leben: Entweder wir lernen, mit der Natur zu koexistieren, oder sie wird auch ohne uns gut auskommen. Und diese Erkenntnis ist nicht nur für Bergsteiger wie mich von Bedeutung.

10. Kenne deine Grenzen
Einer der wichtigsten Aspekte beim Wandern und Bergsteigen ist das Erkennen der eigenen Grenzen. Wie weit kann ich gehen? Welche Höhe vertrage ich? Wie viele Höhenmeter schaffe ich an einem Tag? Das sind Fragen, die ich mir immer wieder stelle. Und die Berge sind der perfekte Ort, um diese Grenzen nicht nur zu erkennen, sondern auch zu erweitern.
Das klingt vielleicht widersprüchlich, aber tatsächlich ist es so: Wer seine Grenzen kennt, kann sie sicher ausloten und sogar erweitern.
Ich erinnere mich an Touren, bei denen ich an meine physischen und psychischen Grenzen gestoßen bin. Das sind Momente, in denen der Körper in einer Art Extremsituation reagiert und man schnell und viel über sich selbst lernt.
Ein Beispiel: Bei einer meiner ersten Touren hatte ich mich komplett überschätzt. Der Weg mit 800 Höhenmetern war mit 2 Stunden angegeben. Ich brauchte am Ende 4 Stunden. Oben angekommen, war ich fix und fertig … und glücklich darüber, dass die Hütte geöffnet hatte. Heute muss ich darüber lächeln.
Solche Erfahrungen in den Bergen sind für mich immer wieder bereichernd. Sie zeigen mir die Grenzen, aber auch die Möglichkeiten auf. Denn ich sehe von Tour zu Tour, dass ich jedes Mal ein Stückchen mehr schaffen kann, als ich ursprünglich dachte – solange ich meine Grenzen respektiere und klug damit umgehe.

Fazit:
Ich hoffe, diese 10 Punkte geben dir einen Einblick, wie viel mehr das Bergsteigen sein kann als nur ein Freizeitvergnügen. Es ist für mich ein Mikrokosmos von Herausforderungen und Lektionen, die uns auf vielen Ebenen wachsen lassen.
Also, wenn du das nächste Mal auf eine Tour gehst, denke daran: Die wahre Reise beginnt nicht am Fuße des Berges, sondern in uns selbst.

